German Federal Chancellor

04/18/2024 | Press release | Distributed by Public on 04/18/2024 12:01

Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz zum Sondertreffen des Europäischen Rats am 17. und 18. April 2024

BK Scholz: Einen schönen guten Tag! Hinter uns liegt ein Europäischer Rat, bei dem wir eine große Zahl sehr drängender Themen miteinander verhandelt haben.

Zuallererst ging es natürlich um das große zentrale Thema, das wir hier jedes Mal zu besprechen haben, nämlich den furchtbaren Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der in unveränderter Brutalität vorangetragen wird und wo wir jeden Tag die Informationen entgegennehmen, die Bilder sehen von den Zerstörungen, die russische Raketen, Drohnen, Marschflugkörper anrichten - all das, was auch unmittelbar an der Frontlinie zwischen den beiden Armeen zu erkennen ist.

Wir wissen, die Ukraine braucht jetzt unsere Unterstützung. Sie braucht ein klares Signal, dass das lange und anhaltend stattfindet. Darum geht es auch, wenn wir uns jetzt darum bemühen, dass ausreichend Waffen, Artillerie und Munition geliefert werden. Insbesondere die Luftverteidigung ist dabei von allergrößter Bedeutung. Deutschland hat hier sehr umfassende Maßnahmen ergriffen, um die Ukraine mit kleinen und großen Systemen auszustatten. Aber auch bei dem großen System Patriot sind wir, nach zwei Systemen, die wir schon geliefert haben, jetzt mit dem dritten System das Land, das hier den substanziellsten Beitrag leistet.

Dass wir jetzt angekündigt haben, das letzte, dritte System in die Ukraine zu verbringen, damit es dort eingesetzt werden kann, ist für uns aber auch ein Aufruf an viele andere, gleiche Entscheidungen zu treffen. Es ist so, dass die Nato sehr klar gemacht hat, dass hinsichtlich der Systeme, die in den Nato-Staaten vorhanden sind, mehrere durchaus vertreten könnten, so wie wir eine Entscheidung zu treffen, dass sie ein weiteres System abgeben, sodass gegen die vielen Angriffe, die die Ukraine gegenwärtig zu erleiden hat, besserer Schutz möglich ist. Ich will diesen Appell an dieser Stelle auch ausdrücklich noch einmal vertiefen. Wir haben gehört, es sollten jetzt noch einmal sieben sein. Eines davon ist das unsere, und wir hoffen, dass im Nato-Kontext noch sechs weitere gefunden werden. Ich habe die Gelegenheit hier auch genutzt, in vielen Gesprächen dafür zu werben. Der ukrainische Staatspräsident war auch zugeschaltet. Wir haben mit ihm intensiv diskutiert und er hat uns noch einmal sehr klar gesagt, wie sehr diese umfassende Hilfe notwendig ist, und hat sich auch für den deutschen Beitrag in dieser Frage sehr bedankt.

Notwendig ist es aber auch, dass wir über die Frage diskutieren, wie die Mittel gefunden werden können, die für diese Unterstützung notwendig sind. Eines der Themen haben wir hier auch besprochen, nämlich die "windfall profits", die aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten entstehen. Wir haben beschlossen, dass wir sie verwenden wollen und dass sie überwiegend für die Beschaffung von Verteidigungsinstrumenten, von Waffen für die Ukraine eingesetzt werden sollen. Das ist etwas, was wir hier noch einmal sehr ausführlich vertieft haben.

Die Welt ist gegenwärtig geprägt von vielen Kriegen und Konflikten. Deshalb hat natürlich auch das, was uns jetzt alle erschüttert hat, hier eine große Rolle gespielt und in der Diskussion viel Zeit in Anspruch genommen, nämlich der iranische Angriff auf Israel. Ein solcher Angriff mit hunderten von Drohnen, Raketen und Marschflugkörpern ist in dieser Weise noch nie vorgekommen. Es ist ein direkter Angriff auf das israelische Staatsterritorium, und deshalb ist es richtig und notwendig, dass wir diesen Angriff gemeinsam auf das Schärfste verurteilen und in gleicher Weise auch alle dazu aufrufen, dass es nun keine weitere Eskalation in der Region gibt. Es ist sehr gut, dass Israel es geschafft hat, sich gegen diesen Angriff erfolgreich zur Wehr zu setzen, und aus meiner Sicht - und auch der vieler anderer, die sich hier geäußert haben - ist es wichtig, dass Israel diese Unterstützung und diesen Erfolg jetzt nicht gefährdet. Alle Seiten sollten sich zurückhalten, um einen Flächenbrand zu vermeiden, und auch das ist etwas, worüber wir uns hier in Brüssel einig waren. Wir haben abermals dazu aufgerufen, dass die von der Terrororganisation Hamas seit ihrem barbarischen Angriff vom 7. Oktober festgehaltenen Geiseln bedingungslos und unverzüglich freigelassen werden. Es muss außerdem alles dafür getan werden, dass die humanitäre Situation in Gaza sich verbessert. Das gilt insbesondere für eine weitere Ausweitung der Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung. Auch das ist notwendig.

Meine Damen und Herren, wir haben uns - auch auf deutsche Initiative - dann in dem europäischen Gespräch über Außenbeziehungen mit der Türkei befasst. Es war mir wichtig, dass wir hier einen neuen Anlauf nehmen, und ich habe mich sehr dafür eingesetzt, dass das ein Thema auf diesem Rat wird. Das ist auch gelungen, und deshalb haben wir uns sehr ausführlich über die Weiterentwicklung dieser Beziehungen unterhalten. Die Türkei ist zwar nicht immer ein leichter, aber auf alle Fälle ein wichtiger strategischer Partner. Das gilt für viele, viele Fragen, die wir miteinander zu diskutieren haben, und deshalb brauchen wir auch eine zukunftsgerichtete Perspektive. Eine gute Zusammenarbeit ist im beiderseitigen Interesse, und das gilt insbesondere, wenn es um die Weiterentwicklung der Zollunion und ihre Modernisierung sowie um die Migrationszusammenarbeit, die für uns so wichtig ist, geht. Es war wichtig, dass diese Diskussion jetzt stattgefunden hat, weil sie auch die Kommission ausreichend mandatiert, diese Verhandlungen - einschließlich die über Visaerleichterungen - jetzt zu führen. Das ist wichtig.

Im Übrigen habe ich mich nicht nur hier im Zusammenhang mit diesem Rat, sondern auch in Gesprächen mit unseren griechischen Freunden, in Gesprächen mit unseren zyprischen Freunden und in Gesprächen mit der türkischen Regierung schon lange dafür eingesetzt, dass wir auch einen neuen Anlauf unternehmen, um die Entwicklung in Zypern zu verbessern, und wir haben deshalb für eine Wiederbelebung der UN-geführten Vermittlungsgespräche geworben. Das ist hier auch noch einmal vertieft worden und ist aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt. Insofern hat die Debatte zur Türkei, die Debatte zu Zypern berechtigterweise Raum eingenommen. Es war mir wichtig, dass das geschieht, weil wir einen neuen Fortschritt in all den Fragen, die damit verbunden sind, brauchen.

Heute ging es dann um die Fragen, die etwas mit der Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union auf den globalen Märkten zu tun haben. Es ist losgegangen mit einer sehr ausführlichen Diskussion über den Bericht des ehemaligen Ministerpräsidenten aus Italien Enrico Letta, der sehr viele Untersuchungen angestellt hat. Er hat einen sehr umfassenden und auch sehr guten Bericht und viele Empfehlungen vorgelegt, die jetzt natürlich alle erst einmal ausgewertet und bewertet werden müssen. Es war aber richtig und notwendig, dass dieser Auftrag an Enrico Letta gegangen ist, und es ist gut, dass wir uns viel Zeit genommen haben, um den Bericht zu diskutieren und damit dann auch zu dem überzuleiten, was wir uns hier alles selbst vornehmen, um eine Verbesserung zu erreichen.

Wir brauchen Verbesserungen für unseren Binnenmarkt. Er ist der größte Binnenmarkt der Welt, aber er hat seine Potenziale und Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. Die Unternehmen in Europa müssen von den Skaleneffekten, die ein so großer europäischer Binnenmarkt hat, auch profitieren können, wenn wir beim Wachstum und bei der Wettbewerbsfähigkeit vorankommen wollen und uns auch unsere großen Vorhaben gelingen sollen. Ob es nun die grüne Transformation ist oder die digitale: Das alles sind Themen, bei denen Fragmentierung dazu führt, dass wir nicht genügend Fortschritt erreichen, nicht genügend wirtschaftliches Wachstum generieren können und unsere Wettbewerbsfähigkeit auch nicht ausreichend voranbringen können. Ein solches Thema sind zum Beispiel auch die Telekommunikationsmärkte beziehungsweise ist der Telekommunikationssektor. Dort droht die Gefahr, dass Europa seine Möglichkeiten nicht nutzt, wenn es um 5G und 6G geht, auch durch die Fragmentierung und durch die damit verbundene nicht ausreichende Dynamik bei der Modernisierung unserer Telekommunikationsnetze. Das muss sich ändern, was wir hier auch gemeinsam festgehalten haben. Ähnliches gilt für die Energienetze.

Meine Damen und Herren, darüber hinaus hat richtigerweise die Banken- und Kapitalmarktunion für unsere Diskussion eine große Rolle gespielt. Darüber, dass wir das diskutieren konnten, bin ich sehr froh. Ich habe gemeinsam mit dem französischen Präsidenten die Initiative dazu ergriffen und darauf bestanden, dass wir auf diesem Rat darüber diskutieren. Wir haben uns auch gemeinsam mit Vorschlägen gemeldet und sehr dafür geworben, dass hier jetzt endlich Fortschritte erreicht werden. Über eine Kapitalmarktunion wird in Europa schon ewig lange gesprochen, und irgendwie gelingt zuletzt nicht mehr sehr viel Fortschritt, obwohl der sehr, sehr notwendig wäre. Ich will gerne sagen, worum es mir dabei geht: Wahrscheinlich ist der nicht ausreichend entwickelte Kapitalmarkt in Europa die wesentliche Ursache dafür, dass die Wachstumsdynamik in Europa nicht so groß ist, wie sie an manchen anderen Plätzen der Welt ist, zum Beispiel in den USA. Denn es geht ja darum, dass wir die sehr umfassenden Spareinlagen, Geldanlagen, Anlagen in alles Mögliche nutzen, um Wachstum privatwirtschaftlich zu finanzieren und das hinzubekommen. Wenn wir das nicht machen, dann sind für große Vorhaben eben nicht genügend Finanzmittel möglich. Manche Diskussionen, die wir in Europa über die Notwendigkeit öffentlich finanzierter Investitionen führen, wären überflüssig, wenn die Eigendynamik des Kapitalmarktes so groß wäre, dass sie solche Investitionen selber finanzieren könnte. Deshalb ist es ist für die Frage der Zukunftsfähigkeit Europas von zentraler Bedeutung, dass wir das aus einer Sache, die unter Experten verhandelt wird, zu einer Sache machen, die ganz vornean auf der Prioritätenliste der Politik Europas liegt und die auch mit der nächsten Kommission nach der Europawahl große Fortschritte nimmt.

Richtigerweise haben wir also umfassend diskutiert, richtigerweise haben wir der Kommission neue Aufträge gegeben, und richtigerweise haben wir uns verabredet, schon im Juni noch weiter darüber zu reden, damit es uns gelingt, diese Fortschritte zu erreichen. Es geht um Wachstum, darum, dass wir mit Eigenkapitalinvestitionen, mit Equity in der Lage sind, das Wachstum von Unternehmen zu finanzieren. Wer sich heute die Realität anguckt, stellt manche merkwürdigen Umwege fest, die die defizitäre Struktur unseres europäischen Kapitalmarktes überwinden helfen. Zum Beispiel wird in Europa Geld von Kapitalanlegern, von Sparerinnen und Sparern eingesammelt und fließt dann zum Beispiel in amerikanische Fonds, die es dann in Europa investieren. Das ist ein Zeichen dafür, dass hier irgendetwas nicht richtig ist. Dieser Umweg ist teuer und wäre nicht notwendig, wenn die Kapitalsammelstellen diese Aufgaben in Europa auch in ausreichender Weise wahrnehmen könnten. Deshalb ist es also gut, dass wir hier sehr konkrete Beschlüsse gefasst haben, etwa wenn es um das Insolvenzrecht und dessen Harmonisierung geht, etwa wenn es um die Frage von einer besser harmonisierten Aufsicht geht, die wir hier auch festgelegt haben, oder etwa wenn es darum geht, dass wir im Bereich der Besteuerung von Finanzunternehmen die Dinge besser zueinander passen lassen können. Alles das ist hier beredet worden, und es wird auch auf der Agenda bleiben. Das ist ein großer Fortschritt.

Zuletzt haben wir uns natürlich auch noch über Handelsfragen unterhalten - auch ein Thema, bei dem jetzt mehr passieren muss. Zu viele von den Handelsabkommen werden zu lange verhandelt und werden nicht fertig. Das ist in der globalen Lage, in der wir uns befinden, nicht vernünftig, und ich habe auch als deutscher Kanzler sehr klar gemacht: Wir haben die Handelspolitik als eine Kernkompetenz der europäischen Politik an die Kommission und an Europa gegeben, und zwar nicht, damit keine Abkommen geschlossen werden, sondern damit mehr Abkommen abgeschlossen werden. Wenn das Ergebnis ist, dass zu viele Abkommen zehn oder 20 Jahre lang verhandelt werden und nicht fertig werden, dann ist das ein Problem. Wir müssen auch in einer Zeit, in der überall wieder neue protektionistische Tendenzen erkennbar sind, alles dafür tun, dass die regelbasierte Wirtschaftsordnung in der Welt gestärkt wird.

Das können wir nur, wenn wir auch als Europäische Union eine klare Politik haben, die die Welthandelsorganisation in ihrem Handlungsmöglichkeiten unterstützt, ein Thema, das sich die EU zu ihrem eigenen machen muss, eines, das in meinen internationalen Gesprächen und gerade auch jüngst wieder in China ein Thema gewesen ist und hinsichtlich dessen ich glaube, dass wir jetzt einen Beitrag dazu leisten müssen, dass das, was so langsam vorangeht, schneller vorangeht. Ich bin froh, dass diesem Anliegen auch Rechnung getragen worden ist - in der Diskussion und natürlich auch in den Beschlüssen.

Schönen Dank!

Frage: Herr Bundeskanzler, ich hätte ganz gerne noch einmal nach der Kapitalmarkt- und Bankenunion gefragt, und zwar nach Verantwortlichkeiten. Sie haben gesagt, dass darüber seit Jahren verhandelt wird. Jetzt scheint es hier wieder so gewesen zu sein, dass sich einige Länder - Irland und Luxemburg als Beispiele - verweigern. Sie sagen "Keine gemeinsame europäische Finanzaufsicht", weil sie das lieber mit ihren nationalen Finanzaufsichten machen würden. Der irische Ministerpräsident hat ja auch noch eine Harmonisierung der Unternehmenssteuern abgelehnt. Wie enttäuscht sind Sie also, und wie kann man diese Länder überzeugen, dass Sie in beiden Bereichen jetzt zu einer gemeinsamen Lösung kommen?

BK Scholz: Wir sind jetzt weg von dem Punkt, an dem gewissermaßen die Tatsache, dass alle das irgendwie so erklären, dass alles ganz schwierig sei, und dass jeder seine eigenen Einwände hat, dazu führt, dass das eigentlich immer adressiert wird, Beschlüsse gefasst werden, aber nichts mehr passiert. Manche Beschlüsse, die in der Vergangenheit gefasst worden sind, lesen sich ja auch so, dass man richtig merkt: Da soll jetzt nichts geschehen. - Das ist jetzt anders, auch dadurch, dass wir Fortsetzungen vereinbart haben.

Auch die kritischen Themen, die Sie angesprochen haben, sind adressiert. Damit ist noch nicht die Auflösung da, aber das ist ja auch mit Aufträgen zum Beispiel an die Kommission verbunden, die dadurch jetzt ermächtigt ist, Vorschläge zu machen, und die diesen Auftrag auch bekommen hat. Ich glaube, dass wir also jetzt endlich Fortschritte in diesem Feld sehen werden. Das bleibt eine schwierige Aufgabe, aber sie ist für die Zukunft wichtig.

Gestatten Sie mir diese etwas flapsige Bemerkung: Ja, es hat eine Zeit gegeben, in der vielleicht der eine oder andere davon profitiert hat, dass er bei Aufsichtsfragen oder bei Steuerfragen Sonderregime speziell darauf gerichtet hat, etwas möglichst Gutes vom Kuchen abzubekommen. Das kann man beurteilen, wenn man will. Aber das ist jetzt alles nichts mehr wert im Verhältnis dazu, dass es uns nicht gelingt, die unglaublichen Kapitalressourcen Europas so zu mobilisieren, dass sie in das Wachstum unserer Unternehmen investiert werden. Das ist eben keine Lösung, mit der man zufrieden sein kann. Darum war es dem französischen Präsidenten und mir wichtig, diesen Aufschlag hier zu verlangen. Das ist gelungen. Nun bleiben wir dran und werden das Thema nicht mehr verlassen.

Frage: Herr Bundeskanzler, wie ordnen Sie die Erkenntnisse des Generalbundesanwalts zu mutmaßlichen russischen Sabotageplänen gegen militärische Ziele in Deutschland ein? Ist das eine neue Dimension? Wenn sich dieser Verdacht erhärten sollte, wie wird und wie kann die Bundesregierung darauf reagieren?

BK Scholz: Wir können niemals hinnehmen, dass solche Spionageaktivitäten in Deutschland stattfinden. Deshalb haben wir ja auch unsere eigenen Abwehrmechanismen, um sie aufzudecken, wie das eben auch immer wieder gelingt. Das ist ja das, worüber Sie gerade sprechen, und das muss auch eine hohe Priorität bei all dem haben, was wir machen. Das können wir nicht hinnehmen und werden wir auch nicht hinnehmen. Insofern ist das schon eine hohe Anforderung, die wir an unsere Sicherheitsorgane stellen müssen. Aber die arbeiten eben auch, wie wir ja sehen.

Zusatzfrage: Aber die Einberufung des Botschafters wird nicht die einzige Antwort bleiben?

BK Scholz: Wir reagieren immer auf diese Dinge. Aber vielleicht darf ich noch einmal dazusagen: Vor allem reagieren wir so darauf, dass wir möglichst umfassend versuchen, den Erfolg solcher Aktivitäten zu bekämpfen.

Frage: Herr Bundeskanzler, ich habe noch eine Frage zum Thema der Luftverteidigung, der Luftabwehr für die Ukraine. Sie haben Ihre wiederholten Appelle angesprochen. Wie erklären Sie sich, dass es immer wieder mehrere Appelle braucht, bis man dann eine Rückmeldung oder vielleicht auch Zusagen bekommt?

BK Scholz: Deutschland ist eben sehr zügig und sehr umfassend bei seinen Waffenlieferungen. Das ist aber, glaube ich, gerade in dieser Situation auch für viele eine Ermutigung. Ich habe sehr, sehr viele freundliche Rückmeldungen hinsichtlich der Entscheidung bekommen, die wir ja jetzt getroffen haben - trotz der Tatsache, dass wir ja schon zwei Patriot-Systeme, die ganzen IRIS-T-Systeme und die sehr, sehr vielen Flakpanzer sowie auch kleinere Systeme zur Luftverteidigung geliefert haben -, dass wir jetzt noch einmal ein Patriot-System liefern. Das ist auch unmittelbar auf die Frage ausgerichtet, überall in den Hauptstädten zu erörtern, die über solche Systeme verfügen, dass man schaut, ob man eines entbehren kann, obwohl das vielleicht in anderen Zeiten etwas wäre, was man nicht tun würde.

Frage: Die iranische Regierung hat heute angekündigt, dass sie ihre Nuklearpolitik überdenken könnte, falls Israel ihrer Atomanlagen bedroht. Wie besorgt sind Sie, dass Israel jetzt doch einen Militärangriff auf den Iran starten könnte?

BK Scholz: Erst einmal sind das zwei unterschiedliche Fragen. Deshalb will ich einmal sagen: Die iranische Atompolitik sorgt uns die ganze Zeit. Deshalb versuchen wir seit langer Zeit, gemeinsam mit engsten Verbündeten alles dafür zu tun, dass die immer einmal wieder dort gefassten Pläne und auch die verfolgten Pläne nicht realisiert werden. Das bleibt unverändert das Ziel und das Programm der deutschen Regierung, aber auch aller Verbündeten, indem wir das diskutieren. Den Druck, dass das entsprechend beachtet wird, machen wir auch. Dass das schwierig und ernst ist, muss ich nicht betonen. Das weiß jeder. Deshalb ist es eine so dringende Aufgabe. Egal, welchen Weg wir jeweils zu gehen versuchen, es geht immer darum, genau das zu verhindern.

Ansonsten habe ich ja in meinem Statement bereits gesagt, dass ich genauso wie die amerikanische Regierung und viele andere der Überzeugung bin, dass es gut wäre, wenn Israel den großen Gewinn, den die erfolgreiche Verteidigung gegen diesen Angriff auch hinsichtlich der Reputation Israels darstellt, nutzen würde und nicht durch eine eigene Reaktion gefährdet.

Frage: Ich komme noch immer zurück zu den langweiligeren Themen, die Ihnen aber sehr wichtig sind. Zur Kapitalmarktunion: Würden Sie uns erläutern, warum es eine Wachstumsdynamik auslösen sollte oder könnte, warum es den Umweg des Kapitals über die USA oder mindestens London abkürzen würde, wenn man die Aufsicht zentralisiert, wenn man das Insolvenzrecht in Europa harmonisiert?

BK Scholz: Wir müssen dazu beitragen, dass Kapital, das in Europa existiert, gesammelt wird und dorthin fließt, wo gute Investmentgelegenheiten vorhanden sind, und zwar nicht nur Kreditlinien - auch darum geht es oftmals; das ist im Wesentlichen das Bankenthema -, sondern auch Eigenkapital, Equity. Das hat natürlich etwas mit Größenordnungen zu tun, damit, dass man, wenn man das Geld investieren will, nicht gleichzeitig 27 unterschiedliche Regime beachten muss, um dann irgendwie zu schauen, dass man das immer schnell hin und her bewegen und richtig investieren kann. Darum haben wir jetzt hier gesagt: Wir wollen zu einer Harmonisierung kommen, was die Aufsichtsregime betrifft, und genau untersuchen, welche Handlungsmöglichkeiten sich ergeben, um das zu erreichen. Da sind ja auch viele Institutionen berufen, in Frankfurt zum Beispiel, auch woanders. Das ist also das eine Thema.

Das hat etwas mit Entbürokratisierung, mit Skaleneffekten, mit der Wirtschaftlichkeit von Investitionen zu tun, dadurch, dass man nicht ständig mit immer neuen Rahmenbedingungen agieren muss. Außerdem geht es auch darum, dass das Geld dort überhaupt hin darf; denn das ist ja auch nicht alles so trivial und einfach, wie man sich das gelegentlich oder immer wünschen würde. Darum gehört das dazu.

Das Gleiche gilt für die Finanzinstitutionen selbst. Wenn die Rahmenbedingungen ähnlich sind, dann kann man auch in ganz Europa operieren. Aber für alle Beteiligten, die dann auch mit den Unternehmen, die investieren, agieren, ist die Tatsache, dass nichts zueinander passt, ein kostenträchtiger Faktor, der manche Aktivitäten auch unwirtschaftlich macht. Man muss ja Geld dafür aufwenden, dass man zum Beispiel, wenn es um Insolvenzen geht, unterschiedliche Regime bedienen muss. Das kostet etwas!

Frage: Herr Letta hat sein Plädoyer für die Kapitalmarktunion ja vor allem damit begründet, dass es für die vielen Zukunftsprojekte, die auf die EU zukommen, in Gottes Namen auch vor allem privates Kapital braucht. Er fügt aber hinzu, dass könnte ja dann auch eine Brücke oder ein gutes Argument für Deutschland sein, zusätzlich auch einem neuen schuldenfinanzierten EU-Fonds zuzustimmen. Können Sie mit dem Gedanken etwas anfangen?

BK Scholz: Ich kann Ihren Gedankengang jetzt nicht genau nachvollziehen, aber will gerne dazu sagen, dass ich jedenfalls fest davon überzeugt bin, dass es richtig ist, dass wir den größten Teil des Wachstums in Europa privatwirtschaftlich finanzieren müssen. Das ist die Basis unserer Wirtschaftsordnung.

Frage: Ich hätte noch einmal eine Frage zum Iran und zu den Revolutionsgarden, also eigentlich eine Verständnisfrage. Ist, die Revolutionsgarden auf die Terrorliste zu setzen, nur eine juristische Frage, oder ist das auch, wie manche sagen, eine politische, weil man dann endgültig Gesprächsfäden, die vielleicht noch existieren, kappt? Wenn die juristische Prüfung ergibt, dass man sie auf die Terrorliste setzen kann, wären Sie dann also dafür, oder hätten Sie vielleicht noch andere Bedenken?

BK Scholz: Wir sind ja leicht einzuschätzen. Es gibt ja bereits mehrere Listungen dieser Organisation, nur nicht in diesem ganz konkreten Regime, aber auch auf europäischer Ebene. Das ist ja alles schon erfolgt. Deshalb gehört es in die Logik dessen, was wir bisher gemacht haben, dass wir jetzt eben auch sehr ernsthaft schauen, was da juristisch überhaupt geht. Das ist nicht ganz einfach. Deshalb ist ja auch der Juristische Dienst der Kommission damit befasst. Denn dass wir uns an Recht und Gesetz halten, gehört ja zu unseren Kernidentitäten.

Frage: Ich würde gerne noch einmal nach dem Patriot-System fragen. Gab es da konkrete Zusagen Ihrer Amtskollegen? Wie schnell rechnen Sie denn vor allen Dingen mit Entscheidungen?

BK Scholz: Über die erste Frage werde ich Ihnen keine Auskunft geben. Das, hoffe ich, verstehen Sie.

Zu der zweiten: Ich hoffe, dass alle möglichst schnell ihre Meinungsbildungsprozesse abschließen, weil es ja auch um die Zeit geht.