WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

11/30/2021 | Press release | Distributed by Public on 11/30/2021 02:20

Gemeinsame Pressemitteilung von WHO-Regionalbüro für Europa und ECDC: Welt-Aids-Tag: Neue Daten zeigen besorgniserregende Zahl nicht diagnostizierter HIV-Infektionen

Kopenhagen/Stockholm, 30. November 2021

Aus einem neuen Bericht zum Welt-Aids-Tag, der vom WHO-Regionalbüro für Europa zusammen mit dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) veröffentlicht wurde, geht hervor, dass die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen zwischen 2019 und 2020 um 24% zurückging. Dieser Rückgang ist hauptsächlich auf die geringere Zahl von HIV-Tests im Jahr 2020 aufgrund der durch COVID-19 bedingten Beschränkungen und Beeinträchtigungen in der Gesundheitsversorgung zurückzuführen.

Dies ist besorgniserregend, da die HIV-Neuinfektionen in der Europäischen Region der WHO seit einem Jahrzehnt eine steigende Tendenz aufweisen. Die Daten aus dem Bericht deuten darauf hin, dass die Zahl der Menschen in der Europäischen Region, die mit einer nicht diagnostizierten HIV-Infektion leben, wächst.

Trotz der potenziellen Diagnose- und Meldelücken im Jahr 2020 wurden in 46 der 53 Länder der Europäischen Region insgesamt 104 765 HIV-Neuinfektionen diagnostiziert, davon 14 971 aus Ländern der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR). Dies entspricht 11,8 Neudiagnosen je 100 000 Einwohner in der Europäischen Region insgesamt.

"Auch wenn weltweit alle Augen auf die COVID-19-Pandemie gerichtet sind, so dürfen wir darüber doch nicht ein anderes tödliches Virus vergessen, das seit fast 40 Jahren Menschenleben und Gemeinschaften zerstört. Seit dem ersten Nachweis des HIV im Jahr 1984 hat das Virus mehr als 35 Mio. Menschenleben gekostet und eine der verheerendsten Pandemien der Geschichte verursacht", erklärte Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa.

"In den vergangenen Jahren haben sich viele Länder in der Europäischen Region darum bemüht, Tests und Therapien auszuweiten und gleichzeitig gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung anzukämpfen. Doch neue Daten, die nach Beginn der COVID-19-Pandemie erhoben wurden, ergeben ein besorgniserregendes Bild, wonach viele Menschen, die mit HIV leben, nicht rechtzeitig diagnostiziert werden, was langfristige Auswirkungen auf ihre Lebensqualität haben könnte."

"Bei der weiteren Bekämpfung der COVID-19-Pandemie müssen wir auch die Bekämpfung von HIV wieder auf Kurs bringen. Es gibt immer noch zu viel Stigmatisierung, Diskriminierung und Falschinformationen über das Virus, aber auch eklatante Diskrepanzen innerhalb der Europäischen Region in Bezug auf Diagnose und Behandlung. Gemeinsam können wir bis 2030 Aids beenden", fügte Dr. Kluge hinzu.

Dr. Andrea Ammon, Leiterin des ECDC, erklärte: "2020 war ein Schlüsseljahr für HIV, in dem wir die 90-90-90-Ziele für Tests, Therapien und Virussuppression hätten erreichen müssen, um den Zeitplan zur Erfüllung der Ziele für nachhaltige Entwicklung bis 2030 einzuhalten. Auch wenn wir 2020 einen Rückgang der Fallzahlen erlebt haben, so ist doch davon auszugehen, dass ein erheblicher Anteil davon auf weniger frühzeitig entdeckte Fälle zurückzuführen ist, zumal die HIV-Testangebote wegen der Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 einen Teil des Jahres 2020 reduziert oder gänzlich eingestellt wurden. Vor diesem Hintergrund kann man wohl davon ausgehen, dass weite Teile Europas die für 2030 festgelegten Zielvorgaben verfehlen werden, wenn wir nicht einige der großen Defizite beheben, die entlang des Kontinuums von Prävention, Tests und Therapien bestehen."

"In den kommenden Jahren müssen wir die Trends aufmerksam verfolgen, um sicherzustellen, dass die durch COVID-19 erlittenen Rückschläge nicht eine Verschärfung der Situation in Bezug auf verspätete HIV-Diagnosen bewirkt haben. Darüber hinaus müssen wir auch die Primärprävention in der gesamten Region intensivieren, vor allem durch die Präexpositionsprophylaxe, und die Tests ausweiten und so vielen Menschen wie möglich unmittelbar nach der Diagnose eine HIV-Therapie ermöglichen.

Schließlich ist da noch ein zusätzlicher Aspekt, der meiner Meinung nach übersehen wird und künftig verstärkt berücksichtigt werden muss: wir müssen das mit HIV verbundene Stigma näher erforschen."

Verschiedene Angebote im Bereich HIV von COVID-19 betroffen

Vorläufige Daten des ECDC verdeutlichen, dass verschiedene Angebote im Bereich HIV entlang des Kontinuums der HIV-Versorgung von COVID-19 betroffen sind, von aufsuchenden Präventionsmaßnahmen und der Bereitstellung der Präexpositionsprophylaxe (PrEP) bis zu Test-, Therapie- und Betreuungsprogrammen.

Länder müssen vor allem die wichtigsten Risikogruppen erreichen

Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass die HIV-Pandemie noch nicht vorüber ist, und trotz erreichter Fortschritte wurden die globalen Zielvorgaben für 2020 verfehlt, sodass eine ernste Gefahr besteht, dass das für 2030 gesteckte Endziel ebenfalls verfehlt wird.

Die Art der Übertragung ist innerhalb der Europäischen Region unterschiedlich, wobei in den Ländern der EU und des EWR die sexuelle Übertragung zwischen Männern der häufigste Übertragungsweg ist. Im östlichen Teil der Europäischen Region hingegen sind heterosexuelle Übertragung und Drogeninjektion die am häufigsten gemeldeten Übertragungswege.

Einige wichtige Bevölkerungsgruppen, namentlich Kinder und Männer, werden von den Test-, Präventions- und Betreuungsangeboten nicht genügend erreicht. Diese Ungleichheiten wurden durch von der COVID-19-Pandemie verursachte Komplikationen noch verschärft.

Die Länder müssen verstärkt auf benutzerfreundliche Präventions- und Testangebote setzen, die vor allem auf die Schlüsselgruppen ausgerichtet sind. In Frage kommen hier die begleitete Benachrichtigung von Partnern, PrEP, HIV-Tests durch geschulte Laien und Selbsttests gemäß den Leitlinien des ECDC und den Empfehlungen der WHO.

Am Welt-Aids-Tag 2021 appelliert die WHO an führende Politiker und an die Bürger in aller Welt, gemeinsam darauf hinzuarbeiten, Ungleichheiten zu bekämpfen und benachteiligte Menschen zu erreichen, um die wachsenden Diskrepanzen beim Zugang zu unentbehrlichen Leistungen im Bereich HIV zu überwinden.