WHO - World Health Organization Regional Office for Europe

05/23/2024 | Press release | Distributed by Public on 05/23/2024 18:17

Eine Epidemie der Ungleichheit: Jugendliche aus einkommensschwachen Familien tragen höheres Risiko in Bezug auf Adipositas, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung

Kopenhagen, 23. Mai 2024

Ein neuer Bericht von WHO/Europa zeigt alarmierende Ungleichheiten hinsichtlich der Gesundheit junger Menschen in der Europäischen Region der WHO auf, unter denen Jugendliche aus weniger wohlhabenden Familien unverhältnismäßig häufig leiden. Der Bericht basiert auf Daten aus 44 Ländern, die an der Studie über das Gesundheitsverhalten von Kindern im schulpflichtigen Alter (HBSC-Studie) teilnahmen. Er verweist auf ungesunde Essgewohnheiten, steigende Raten von Übergewicht und Adipositas sowie einen Mangel an Bewegung bei jungen Menschen, die allesamt signifikante Risikofaktoren für eine Reihe von nichtübertragbaren Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs darstellen.

Ungesunde Essgewohnheiten auf dem Vormarsch

Der Bericht zeichnet ein besorgniserregendes Bild der Ernährungsgewohnheiten von Jugendlichen, wobei der Schwerpunkt auf dem Rückgang gesunden Essverhaltens und der Zunahme ungesunder Gewohnheiten liegt. So verzehren weniger als 2 von 5 Jugendlichen (38 %) täglich Obst oder Gemüse, und diese Zahlen sinken mit zunehmendem Alter (von 45 % der 11-Jährigen auf 33 % der 15-Jährigen bei Obst und von 40 % auf 36 % bei Gemüse). Besorgniserregend ist auch, dass mehr als die Hälfte der Jugendlichen angab, nicht jeden Tag Obst und Gemüse zu essen (56 % der Jungen und 51 % der Mädchen im Alter von 15 Jahren).

Dagegen bleibt der Konsum von Süßigkeiten und zuckerhaltigen Getränken unverändert hoch: Ein Viertel der Jugendlichen (25 %) gab an, täglich Süßigkeiten oder Schokolade zu konsumieren. Diese Quote ist bei Mädchen (28 %) höher als bei Jungen (23 %) und hat seit 2018 zugenommen, insbesondere bei Mädchen (von 23 % auf 27 % bei 11-jährigen Mädchen und von 26 % auf 28 % bei 15-jährigen Mädchen).

Der tägliche Konsum von Softdrinks ist zwar seit der letzten Erhebung im Jahr 2018 insgesamt leicht zurückgegangen, liegt aber immer noch bei 15 % der Jugendlichen, wobei die Raten bei Jungen (16 % gegenüber 14 % bei Mädchen) sowie bei Jugendlichen aus weniger wohlhabenden Familien höher sind.

Der Bericht verdeutlicht auch einen besorgniserregenden Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status und ungesunden Ernährungsgewohnheiten: demnach konsumieren Jugendliche aus einkommensschwachen Familien häufiger zuckerhaltige Getränke (18 % gegenüber 15 %) und essen seltener täglich Obst (32 % gegenüber 46 %) und Gemüse (32 % gegenüber 54 %).

Dr. Martin Weber, Leiter des Referats Versorgungsqualität und des Programms für Kinder- und Jugendgesundheit bei WHO/Europa, erklärt: "Die Bezahlbarkeit und Zugänglichkeit von gesunden Lebensmitteln ist für einkommensschwache Familien oft eingeschränkt, was zu einer stärkeren Abhängigkeit von verarbeiteten und zuckerhaltigen Lebensmitteln führt, die sich nachteilig auf die Gesundheit von Jugendlichen auswirken kann."

Übergewicht und Adipositas: ein wachsendes Gesundheitsrisiko

Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas, die bei Jugendlichen bei über einem Fünftel liegt, stellt schon seit Langem eine erhebliche Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar. Diese Zahl hat sich seit der letzten Umfrage im Jahr 2018 von 21 % auf 23 % im Jahr 2022 erhöht. Die Raten von Übergewicht und Adipositas sind bei Jungen (27 %) höher als bei Mädchen (17 %).

Alarmierend ist, dass Jugendliche aus weniger wohlhabenden Familien häufiger übergewichtig oder adipös sind (27 % im Vergleich zu 18 % ihrer Altersgenossen aus wohlhabenderen Familien). Diese Diskrepanz macht deutlich, dass die zugrunde liegenden sozioökonomischen Faktoren, die zu diesen Trends beitragen, dringend angegangen werden müssen.

Bewegungsmangel: ein Grund zur Besorgnis

In dem Bericht wird auch auf den besorgniserregenden Bewegungsmangel von Jugendlichen hingewiesen. Die WHO empfiehlt, dass Jugendliche sich durchschnittlich mindestens 60 Minuten täglich moderat bis intensiv bewegen. Aus dem Bericht geht hervor, dass insgesamt nur 25 % der Jungen und 15 % der Mädchen täglich 60 Minuten moderate bis intensive Bewegung (MVPA) haben, wobei die Beteiligung mit dem Alter abnimmt, insbesondere bei den Mädchen (24 % der 11-jährigen Mädchen gegenüber 13 % der 15-Jährigen).

Zwar erfüllen insgesamt 60 % der Jugendlichen die Empfehlung der WHO für intensive körperliche Betätigung (VPA) mindestens dreimal pro Woche, doch ist die Quote bei Mädchen (51 %) niedriger als bei Jungen (69 %). Dieser Unterschied zwischen den Geschlechtern vergrößert sich mit zunehmendem Alter: so wird diese Empfehlung von 65 % der 11-jährigen Mädchen, aber nur 46 % der 15-jährigen Mädchen erfüllt.

Auch hier zeigen sich wieder sozioökonomische Ungleichheiten, denn Jugendliche aus wohlhabenderen Familien schneiden in den Kategorien MVPA (16 % gegenüber 26 %) und VPA (51 % gegenüber 69 %) besser ab. Dies deutet darauf hin, dass Einflussfaktoren wie der Zugang zu sicheren Bewegungsräumen und die Teilnahme an organisierten Sportaktivitäten oft vom Familieneinkommen abhängig sind.

Weiterreichende Auswirkungen und Bedeutung für die öffentliche Gesundheit

Die in dem Bericht aufgezeigten Ungleichheiten haben weitreichende Auswirkungen, die über die unmittelbaren gesundheitlichen Probleme hinausgehen. Die langfristigen gesundheitlichen Folgen von ungesunden Ernährungsgewohnheiten, Bewegungsmangel und Übergewicht bzw. Adipositas im Jugendalter können schwerwiegend sein, insbesondere aufgrund eines erhöhten Risikos für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und bestimmte Krebsarten. Diese Erkrankungen beeinträchtigen nicht nur das individuelle Wohlbefinden, sondern stellen auch eine erhebliche Belastung für Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften dar.

"Regelmäßige körperliche Betätigung, gesunde Ernährungsgewohnheiten und ein gesundes Körpergewicht sind wesentliche Elemente einer gesunden Lebensweise", erklärt Dr. Hans Henri P. Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa. "Die Ergebnisse des Berichts verdeutlichen, dass gezielte Maßnahmen erforderlich sind, um Jugendliche in die Lage zu versetzen, gesündere Verhaltensweisen anzunehmen und Gewohnheiten zu vermeiden, die nicht nur heute ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden, sondern auch künftig ihre Entwicklung als Erwachsene beeinträchtigen."

Dr. Kluge fügte hinzu: "Außerdem tragen die sozioökonomischen Ungleichheiten im Gesundheitsverhalten von Jugendlichen zu einem Teufelskreis der Benachteiligung bei. Kinder aus einkommensschwächeren Familien tragen ein höheres Risiko, gesundheitliche Schäden zu erleiden, die ihren Bildungserfolg, ihre beruflichen Chancen und ihre allgemeine Lebensqualität beeinträchtigen können. Dadurch werden soziale Ungleichheiten aufrechterhalten und die Möglichkeiten für einen sozialen Aufstieg eingeschränkt."

Die Ergebnisse der HBSC-Studie haben auch Auswirkungen auf die Erfüllung von globalen Gesundheitszielen wie den Zielen der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung (SDG). Vor allem deckt sich die Schwerpunktlegung des Berichts auf die Gesundheit von Jugendlichen mit der Zielvorgabe 3.4 der SDG, in der die Länder dringend aufgefordert werden, bis 2030 die Frühsterblichkeit aufgrund von nichtübertragbaren Krankheiten um ein Drittel zu senken. Die Länder können zur Verwirklichung dieses ehrgeizigen Ziels beitragen, indem sie die Ursachen für gesundheitliche Ungleichheiten in Angriff nehmen und bei Jugendlichen gesunde Verhaltensweisen fördern.

Die Krise bewältigen

WHO/Europa, das für 53 Mitgliedstaaten in Europa und Zentralasien zuständig ist, ruft zu dringlichen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser besorgniserregenden Trends auf. In dem Bericht werden umfassende Strategien mit folgenden Schwerpunkten empfohlen:

  • Regulierung der Lebensmittelwerbung: Dazu gehört die Einführung strengerer Vorschriften für die Vermarktung ungesunder Lebensmittel und Getränke an Kinder und Jugendliche.
  • Förderung gesunder Essgewohnheiten: Dazu muss der Zugang zu bezahlbaren, nährstoffreichen Lebensmitteln verbessert werden, insbesondere für benachteiligte Familien, und es müssen Konzepte eingeführt werden, die dem Konsum ungesunder Lebensmittel und Getränke entgegenwirken.
  • Verstärkte Bewegungsförderung: Dazu müssen sichere und gut zugängliche Umgebungen für Bewegung geschaffen und außerdem Initiativen gefördert werden, die Jugendliche zu regelmäßiger Bewegung anregen.
  • Entwicklung gezielter Interventionen: Solche Maßnahmen sollten gesündere Verhaltensweisen bei Jugendlichen fördern, insbesondere solchen aus benachteiligten Verhältnissen. Dies könnte auf vielerlei Weise geschehen, etwa durch schulische Programme zur Förderung gesunder Ernährung und Bewegung, durch kommunale Initiativen, die Zugang zu bezahlbaren Sport- und Freizeiteinrichtungen bieten, oder durch Gesundheitskampagnen, die das Bewusstsein für die Bedeutung gesunder Verhaltensweisen schärfen.
  • Ansetzen an sozialen Ungleichheiten: Eine solche Politik sollte darauf abzielen, die sozioökonomischen Ungleichheiten im Gesundheitsbereich zu verringern, damit alle jungen Menschen die Möglichkeit haben, ein gesundes Leben zu führen.

"Diese Ergebnisse sind ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Länder mehr tun können, um das Gesundheitsverhalten von jungen Menschen zu beeinflussen", sagt Dr. Kremlin Wickramasinghe, Regionalbeauftragter für Ernährung, Bewegung und Adipositas bei WHO/Europa.

Er fügt hinzu: "Ein qualitativ hochwertiger Sportunterricht in den Schulen, die Förderung gesunder Verhaltensweisen durch Breitensport in Vereinen und eine Gestaltung von Städten, die eine aktive Fortbewegung ermöglicht, sind allesamt wirksame Maßnahmen zur Bewegungsförderung. Obligatorische Etiketten auf der Vorderseite von Verpackungen, die zum Verzehr von gesunden Lebensmitteln raten, Beschränkungen der Vermarktung ungesunder Lebensmittel an Kinder, Bereitstellung kostenloser gesunder Schulmahlzeiten für alle Kinder (allgemeine kostenlose Schulmahlzeiten) - überall in der Europäischen Region der WHO gibt es eine Vielzahl bewährter Konzepte."

Dr. Weber hebt die Bedeutung eines vielschichtigen Ansatzes hervor: "Die Bewältigung der komplexen Problematik der Gesundheit von Jugendlichen erfordert eine Kombination von Maßnahmen auf individueller, familiärer, kommunaler und politischer Ebene. Wir müssen Umfelder schaffen, die gesunde Entscheidungen fördern und junge Menschen dazu befähigen, ihre Gesundheit selbst in die Hand zu nehmen."

Die HBSC-Studie ist eine wertvolle Quelle für politische Entscheidungsträger und Gesundheitsexperten, die die komplexen Einflussfaktoren für die Gesundheit von Jugendlichen besser verstehen und wirksam angehen wollen. Indem er die Auswirkungen sozioökonomischer Ungleichheiten hervorhebt, unterstreicht dieser Bericht die Notwendigkeit gezielter Interventionen und Konzepte zur Förderung gesundheitlicher Chancengleichheit für alle jungen Menschen.

Dr. Kluges Fazit lautet: "Eine Investition in die Gesundheit von Jugendlichen ist eine Investition in die Zukunft. Indem wir die zugrunde liegenden Einflussfaktoren angehen, die zu ungesunden Verhaltensweisen beitragen und eine Epidemie der Ungleichheit hervorrufen, können wir die Gesundheit und das Wohlbefinden junger Menschen verbessern, gesundheitliche Ungleichheiten abbauen und eine gesündere Zukunft für alle schaffen."