German Federal Government

05/07/2024 | Press release | Distributed by Public on 05/07/2024 10:47

Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und dem Vorsitzenden des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina Bećirović am 7. Mai 2024

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

BK Scholz: Herr Vorsitzender, es war mir ein Anliegen, Sie früh nach der Übernahme des Vorsitzes des Staatspräsidiums in Bosnien-Herzegowina in Berlin zu begrüßen. Ich freue mich, dass das geklappt hat.

Wie Sie wissen, engagiert sich Deutschland intensiv dafür, dass die Länder des westlichen Balkans eine Zukunft in der Europäischen Union erhalten. Der Beitritt ist überfällig, denn das Versprechen für die Mitgliedschaft liegt nun schon mehr als 20 Jahre zurück.

Ich habe deswegen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Rat im März beschlossen, die Beitrittsverhandlungen mit Bosnien-Herzegowina zu eröffnen. Das war ein wichtiger Schritt, an dem wir lange gearbeitet haben. Aber ich hoffe und bin sicher, er hat auch in Bosnien-Herzegowina neue Hoffnung auf Europa gemacht, und den Mut gefördert, aktiv daran zu arbeiten, die Voraussetzungen dafür zu erfüllen.

Und überhaupt: Diese Entscheidung war eine Anerkennung für die Fortschritte, die Bosnien-Herzegowina in den vergangenen Jahren unternommen hat und ein klares Signal an alle reformorientierten Kräfte im Land und an die Bürgerinnen und Bürger in der gesamten Region. Wir meinen es ernst mit der EU-Perspektive.

Gleichzeitig war das aber auch eine Aufforderung, die nötigen Reformen nun entschlossen und rasch voranzutreiben. Der Erweiterungsprozess ist leistungsbasiert. Das heißt, es geht darum, dass die Voraussetzungen für die Einhaltung der europäischen Gesetze und Regeln in jedem Land geschaffen werden, das Mitglied der Europäischen Union werden will. Es gibt da keine Sonderwege in die Europäische Union; sie sind für alle Länder gleich.

Mir ist bewusst, dass das eine große Herausforderung darstellt. Aber die Reformbemühungen lohnen sich am meisten für die Kandidatenländer selbst. Denn es ist auch mit großem wirtschaftlichem Erfolg verbunden und aus der Mitgliedschaft in der Europäischen Union ergeben sich neue Möglichkeiten.

Darüber hinaus haben Denis Bećirović und ich eben auch über viele andere Fragen konkret und konstruktiv gesprochen, die für diesen Beitrittsprozess wichtig sind, und ich habe die Unterstützung der Bundesregierung zugesagt.

Wir haben außerdem darüber gesprochen, wie wir die regionale Zusammenarbeit auf dem Westbalkan weiter stärken können. Dieses Jahr ist das zehnte Jubiläum des Berlin-Prozesses. Es ist das Instrument für die regionale Zusammenarbeit, und wir wollen auch den gemeinsamen regionalen Markt stärken. Ich hoffe, dass Bosnien-Herzegowina die ausstehenden Mobilitätsabkommen ratifiziert und auch die hier in Berlin im November 2022 beschlossene Energieerklärung annehmen kann.

Wie wichtig regionale Kooperationen und enger Austausch sind, das hat uns alle der russische Angriffskrieg auf die Ukraine verdeutlicht. Wir müssen etwas dafür tun, dass wir Frieden und Sicherheit in Europa gewährleisten können. Denn der Frieden ist - das zeigt dieser furchtbare Krieg - ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr.

Ich begrüße sehr, dass Bosnien-Herzegowina sich mit der Ukraine solidarisch gezeigt hat und zeigt und sich auch zu den Sanktionen gegen Russland bekannt hat. Nun hoffen wir, dass auch die nächsten Schritte in diesem Zusammenhang umgesetzt werden können.

Wir wissen, die Sicherheit und Stabilität im westlichen Balkan ist nicht selbstverständlich. Man muss aktiv immer wieder etwas dafür tun. Da spielt Bosnien-Herzegowina eine ganz zentrale Rolle. Jeder Versuch, die Souveränität und die territoriale Integrität des Landes infrage zu stellen, ist für uns inakzeptabel. Deshalb unterstützen wir auch die wichtige Rolle, die der Hohe Repräsentant bei der Förderung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte spielt. Seine Bemühungen tragen dazu bei, die Umsetzung des Dayton-Abkommens von 1995 zu überwachen und damit den Frieden zu sichern - und ich freue mich, dass wir beide da ganz einer Meinung sind.

Vor dem Hintergrund, Sicherheit und Stabilität fördern zu wollen, beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland auch seit 2022 wieder an der Mission EUFOR Althea. Wir wollen diese Beteiligung gerne fortsetzen und auch damit unseren Beitrag zur Sicherheit und Stabilität leisten.

Schönen Dank, dass wir uns hier heute wirklich intensiv austauschen konnten. Auf gute weitere Zusammenarbeit und schönen Dank!

Vors. Bećirović: Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, lieber Freund, in erster Linie möchte ich im Namen der großen Mehrheit, der überwältigenden Mehrheit von Bosnien-Herzegowina der Bundesrepublik Deutschland, aber auch Ihnen persönlich meinen großen Dank für die bisherige Unterstützung, die Sie Bosnien-Herzegowina und seiner Bevölkerung erwiesen haben, aussprechen. Bosnien-Herzegowina ist ein Staat, der eine tausendjährige Geschichte hat, ein Staat mit einer langen Geschichte und einem langen Gedächtnis, ein Staat, der seine Freunde nicht vergisst. Die Bundesrepublik Deutschland war und ist einer der größten Freunde von Bosnien-Herzegowina.

Auf diesem gemeinsamen Treffen haben wir festgestellt, dass wir wirklich ausgezeichnete bilaterale Beziehungen und eine gute Zusammenarbeit im multilateralen Bereich haben. Was uns aber besonders freut und ermutigt, ist die Tatsache, dass Bosnien-Herzegowina und Deutschland Jahr für Jahr auch eine immer bessere wirtschaftliche Zusammenarbeit haben. 2023 haben wir einen rekordverdächtigen Warenaustausch gehabt, seit wir diplomatische Beziehungen haben. Unser Warenaustausch betrug mehr als 6 Milliarden Konvertible Mark oder mehr als 3 Milliarden Euro. Wir wollen, dass dieser Warenaustausch noch besser wird und dass die gute Zusammenarbeit zwischen den beiden Staaten und den Unternehmen in der nächsten Zeit noch weiter intensiviert wird.

Ansonsten setzt Bosnien-Herzegowina 73 Prozent seines Warenaustausches, seines Handelsaustausches mit den Ländern der Europäischen Union um. Das zeigt auch, in welche Richtung Bosnien-Herzegowina geht. Die letzten Umfragen in Bosnien-Herzegowina belegen, dass zwischen 75 und 80 Prozent der Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina wollen, dass unser Land so bald wie möglich vollumfängliches Mitglied der Europäischen Union und der NATO wird. Das sind die strategischen Ziele von Bosnien-Herzegowina. Sie sind einstimmig definiert in den staatlichen Gremien von Bosnien-Herzegowina, und unsere Verpflichtung ist es, daran zu arbeiten.

Leider - auch darüber habe ich den sehr geehrten Herrn Bundeskanzler informiert - haben wir in Bosnien-Herzegowina eine Minderheit, die russisch orientiert ist und die letztendlich an den Grundfesten des Dayton-Abkommens und der Verfassungsordnung von Bosnien-Herzegowina rüttelt. Diese Minderheit hat zwei Schlüsselinstitutionen in Bosnien-Herzegowina zur Wahrung des Friedens als Zielscheibe: Das ist zum einen die Position des Hohen Vertreters, der durch Annex 10 des Dayton-Abkommens festgelegt wurde, und zum anderen das Verfassungsgericht, das auf Basis der Verfassung von Bosnien-Herzegowina eingerichtet wurde.

Aufgrund einer solchen Politik und auch der Sanktionen, die im Grunde genommen der gesamte Westen eingeführt hat, ist es natürlich unser Wunsch, dass wir uns im Rahmen des Dayton-Abkommens und der Verfassung von Bosnien-Herzegowina auch um den wirtschaftlichen Aufschwung kümmern. Wir müssen aber natürlich auch bereit sein für Herausforderungen, die in der Zukunft vor uns stehen. Deswegen ist es für Bosnien-Herzegowina und die Region sehr wichtig, eine klare Botschaft der stärksten Wirtschaftskraft in Europa zu bekommen, nämlich der Bundesrepublik Deutschland und des Bundeskanzlers. Besonders wichtig ist auch seine Botschaft, dass die Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität von Bosnien-Herzegowina nicht infrage gestellt werden können.

Zudem haben wir auf diesem Treffen auch über die Resolution zum Völkermord in Srebrenica gesprochen. Ich habe meinen größten Respekt und Dankbarkeit gegenüber dem Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht, weil die Wahrheit über Srebrenica bewahrt wird - eine Wahrheit, die auch durch die höchsten VN-Gerichte bestätigt worden ist, nämlich durch den Obersten Gerichtshof und den Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien.

Bosnien-Herzegowina und Deutschland haben eine ausgezeichnete Zusammenarbeit, und ich hoffe, dass wir diese Zusammenarbeit in der Zukunft noch erfolgreicher gestalten.

Frage: Herr Bundeskanzler, was ist Ihre Meinung über die Resolution zu Srebrenica? Das ist in der Region teilweise umstritten, vor allem in Bosnien-Herzegowina und in der kleineren Entität von Bosnien-Herzegowina. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich möchte noch eine Frage anschließen. Welches sind die größten Bremsen, die größten Hindernisse, wenn es um die EU-Erweiterung in Richtung des Westbalkans geht? Gibt es einen Vor- und Nachnamen für die größten Hindernisse für die EU-Erweiterung in Richtung des westlichen Balkans?

BK Scholz: Schönen Dank für beide Fragen. Ich will sie gern beantworten.

Zunächst zu Ihrer ersten Frage: Die diskutierte Resolution der Vereinten Nationen wird von einem Freundeskreis vorangetrieben, den Deutschland mit anführt. Schon daran wird deutlich, dass wir das für eine notwendige Entscheidung halten, gerade jetzt, da wir uns daran erinnern, welche schreckliche Taten damals verübt worden sind. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass oberste Gerichte, internationale Gerichte wiederholt die Feststellungen, die sich in dieser Resolution finden, aufgegriffen haben. Insofern ist das jetzt richtig, notwendig und zur richtigen Zeit. Man darf eine solche Erinnerung nicht verblassen lassen. Sie muss uns eine Mahnung für die Zukunft sein.

Es gibt keine konkreten und spezifischen Hindernisse. Es gibt nur die Notwendigkeit, zu verstehen, dass all die vielen Gesetze und Maßnahmen beschlossen werden müssen, die für den Weg in die Europäische Union notwendig sind. Denn es gibt das, was man den europäischen Acquis nennt, die ganzen Gesetze, die in Europa gemeinsam in allen jetzt 27 Mitgliedsstaaten gelten, zu Rechtsstaatlichkeitsfragen, Fragen der Demokratie, Fragen, die sich mit Verhinderung von Korruption beschäftigen, alles das, was eine große Rolle spielt. Sie sind für alle gleich, und jedes Land, das Mitglied werden will, muss sie erfüllen.

Das heißt, dass man nicht darauf hoffen kann, dass es, wenn man nichts ändert, trotzdem zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union kommt, weil alle finden, das sei jetzt an der Zeit, sondern es ist die eigene Sache, diese Dinge voranzutreiben. Mit der Entscheidung, die wir im März getroffen haben, ist aber, denke ich, verbunden, dass das Herz aller offen ist, dass dieser Prozess aktiv unterstützt wird, dass es, wenn die Voraussetzung erfüllt wird, auch einen Beitritt Bosnien-Herzegowinas zur Europäischen Union geben kann. Das Tempo, in dem das geschieht, hängt jetzt allein an dem Tempo der Entscheidungen, die im eigenen Land getroffen werden.

Frage: Meine Frage richtet sich an Herrn Scholz. Es ist eine innenpolitische Frage, eine Frage zum Rentenpaket. Steht für Sie jetzt, nachdem der Beschluss verschoben wurde, die Garantie des Rentenniveaus infrage?

Was soll sich in den wenigen Tagen vor dem Kabinettsbeschluss noch ändern?

BK Scholz: Zunächst einmal ist mir wichtig, dass alle wissen, dass wir in der Regierung sehr gut zusammenarbeiten. Deshalb treffen sich der Bundeskanzler, der Vizekanzler und der Finanzminister ziemlich oft und ziemlich regelmäßig. Das haben wir auch heute getan, lange geplant. Es gibt - das will ich Ihnen gern sagen - noch viele weitere Treffen, die wir vorbereitet haben, damit wir pünktlich Anfang Juli Entscheidungen zum Bundeshaushalt und auch zur Dynamisierung unserer Volkswirtschaft treffen können. Das haben wir uns gemeinsam vorgenommen, daran arbeiten wir schon länger, und das war auch der Gegenstand unserer Beratungen.

Ansonsten haben wir uns auch darauf verständigt, dass das Rentenpaket kommt. Es kommt im Mai.

Dienstag, 7. Mai 2024
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