German Federal Chancellor

02/08/2023 | Press release | Distributed by Public on 02/08/2023 16:33

„Der Zusammenhalt ist unser höchstes Gut“

In seiner Regierungserklärung vor Beginn des außerordentlichen Europäischen Rats hat Bundeskanzler Scholz den Blick zunächst auf die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien gerichtet. "Wir sind erschüttert über die vielen Toten und Verletzten, über so viel Leid und Zerstörung", erklärte er. Die Bundesregierung habe unverzüglich Hilfe zugesagt. Weitere Informationen zur Katastrophe und deutschen Unterstützungsmaßnahmen finden Sie in diesem Beitrag.

Ein Jahr Leid für Menschen in Ukraine

Der Europäischen Rat wird sich erneut mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine befassen, einer "menschengemachten Katastrophe", wie Scholz betonte. In wenigen Tagen jährt sich Russlands Überfall auf sein Nachbarland. "Für die Ukrainerinnen und Ukrainer heißt das seit zwölf quälend langen Monaten tagtäglich: Furcht vor neuen russischen Angriffen, Sorge und Trauer um die Liebsten, Angst auch um das eigene Leben", so der Kanzler. Der Ukraine und ihren tapferen Bürgerinnen und Bürgern "gilt unser ganzes Mitgefühl und unsere Solidarität", unterstrich Scholz.

Allein Deutschland habe der Ukraine im vergangenen Jahr mit rund 12 Milliarden Euro zur Seite gestanden - "und diese Unterstützung setzen wir auch 2023 fort", so der Kanzler. Die Bundesrepublik helfe beim Wiederaufbau, bei der Stabilisierung des ukrainischen Staatshaushalts, der ukrainischen Wirtschaft. Zudem leiste Deutschland humanitäre Hilfe und liege bei der Lieferung von Waffen und Munition "in Kontinentaleuropa weit vorn", erklärte Scholz. Er unterstrich, dass vom ersten Kriegstag an "der Zusammenhalt innerhalb unserer Bündnisse und Allianzen unser höchstes Gut" sei. Dieser Zusammenhalt werde gewahrt und gestärkt, "indem wir Entscheidungen zunächst vertraulich vorbereiten - und dann erst kommunizieren". Ein "öffentlicher Überbietungswettbewerb" hingegen schade dieser Geschlossenheit.

Drei Prinzipien leiten Handeln seit Kriegsbeginn

Aus seiner Verantwortung, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, benannte der Bundeskanzler drei Prinzipien, "die unser Handeln seit Kriegsbeginn bestimmen":

  • Wir lassen nicht zu, dass die Grundprinzipien unserer Friedensordnung in Europa in Frage gestellt werden. Kein Land darf mit Gewalt Teile eines anderen Landes übernehmen. Deshalb wird die EU die Sanktionen gegen Russland noch einmal verschärfen und die Ukraine weiter unterstützen - "solange wie nötig".
  • Es werden keine Entscheidungen getroffen, die die zur Kriegspartei werden lassen. "Nicht die führt Krieg gegen Russland. Russland hat die Ukraine überfallen", so Scholz. Deshalb ist es an Russland, diesen Krieg zu beenden - "je eher, desto besser: für die Ukraine, für Russland und für die ganze Welt".
  • Alles, was wir tun, tun wir im Gleichklang mit unseren Partnern und Verbündeten. "Das war bei allen wichtigen Entscheidungen so, die wir in den vergangen zwölf Monaten getroffen haben. Und dabei bleibt es", so Scholz. Die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland könnten sich darauf verlassen, "dass wir die Umsicht und die Nervenstärke behalten, die es braucht, um abgewogen zu entscheiden über Krieg und Frieden."

Ukraine gehört zu Europa

Der außerordentliche Europäische Rat wird über das weitere Vorgehen beraten. Darüber hinaus werden die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs das Versprechen vom vergangenen Juni bekräftigen: "Die Ukraine gehört zu Europa, ihre Zukunft liegt in der Europäischen Union! Und dieses Versprechen gilt", unterstrich der Bundeskanzler.

Bundeskanzler Scholz skizzierte zudem die weiteren Themen, über die sich die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs bei dem außerordentlichen Europäischen Rat beraten werden - insbesondere Migration und Wettbewerbsfähigkeit. Diese Themen hätten das Potential, die Europäische Union zu spalten. Eine geopolitische müsse diese Uneinigkeit überwinden. "Dann bleibt sie auch in der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts eine gestaltende Kraft", so Scholz.

Eine gemeinsame Migrationspolitik voranbringen

Scholz bedankte sich bei allen Ehrenamtlichen, der Zivilgesellschaft und den Städten und Gemeinden für ihren unermüdlichen Einsatz im Rahmen der Ukraine-Krise. Sie haben über eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine willkommen geheißen sowie Hilfsangebote organisiert und vermittelt: "Das ist ein Zeichen großer Menschlichkeit und dafür sage ich von ganzem Herzen Danke!" Der Bund werde die Länder und Gemeinden auch weiterhin unterstützen. "Wir lassen sie nicht allein!", betonte Scholz.

Ein wichtiges Element der Migrationspolitik sei auch die wirksame Kontrolle der europäischen Außengrenzen. Eine stärkere Unterstützung der -Mitgliedsstaaten - materiell, finanziell und durch die freiwillige Aufnahme von Asylsuchenden durch andere -Staaten - sei wichtig. Um dies zu erreichen, sei mit dem freiwilligen Solidaritätsmechanismus in der ein neuer Weg eingeschlagen worden.

Scholz ist zuversichtlich, dass "eine Reform des europäischen Asylsystems noch in der laufenden europäischen Legislaturperiode möglich ist". Dabei könne auch eine Rolle spielen, dass Deutschland und immer mehr -Staaten auf Fachkräfte aus angewiesen seien.

Klar sei aber auch: "Wer kein hat, muss Deutschland verlassen", machte der Kanzler deutlich. Man werde künftig noch stärker die Möglichkeiten legaler Migration mit der Erwartung an die Herkunftsländer verknüpfen, ihre Staatsangehörigen ohne Bleiberecht in Deutschland zurückzunehmen. Ein Abkommen mit Indien sei schon geschlossen. Um weitere abzustimmen, habe die Bundesregierung Joachim Stamp als Sonderbevollmächtigten eingesetzt. "So erhalten wir die Akzeptanz, die es in unserem Land sowohl für die innerhalb der als auch für eine klug gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften gibt".

Die Wettbewerbsfähigkeit Europas stärken

Scholz wird sich mit den europäischen Staats- und Regierungschefinnen und -chefs auch über die Wettbewerbsfähigkeit Europas austauschen. Auf Grundlage von Kommissionvorschlägen berät der Europäische Rat darüber, wie den Unternehmen in der der Wandel zur Klimaneutralität erleichtert werden kann.

Dabei ist der Kanzler überzeugt, dass "Deutschland und Europa die Segel richtig setzen" und führte dafür viele Beispiele an. Er machte deutlich, dass die Großhandelspreise für Energie inzwischen wieder auf dem Niveau von vor dem Kriegsbeginn lägen, die Inflation in Europa sinke und die Industriepolitik stabil sei. Darüber hinaus sei das Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union im letzten Quartal sogar leicht gestiegen, die Zahl der Beschäftigten in Deutschland und der lägen auf Rekordhoch und auch bei der Diversifizierung der Lieferketten und Absatzmärkte sei man vorangekommen. Auch die -Freihandelsabkommen mit Drittsaaten seien auf einem guten Weg, so zum Beispiel mit den MERCOSUR-Staaten.

Die habe zwar mit der Ankündigung von Förderprogrammen für die grüne Industrie eine Diskussion rund um die Folgen dieser Politik für Europa entfacht. Aber es sei "doch begrüßenswert, dass die den Wandel hin zur Klimaneutralität jetzt endlich ähnlich entschlossen angehen wie wir", so der Kanzler. Nicht nur die unterstützen den grünen Wandel ihrer Wirtschaft. Auch europäischen Unternehmen stehen Milliarden aus europäischen Töpfen zur Verfügung. Zu den europäischen Förderinstrumenten gehören der Kohäsionsfonds und Mittel aus dem Green Deal, wie die Aufbaufazilität und die RePower- und Invest-Programme. Das Fazit des Bundeskanzlers: "Europa muss sich nicht verstecken." Nichtsdestotrotz werde aber genau geprüft, wo die Programme noch Lücken haben und wie sich diese schließen ließen.

Die Staats- und Regierungschefinnen und -chefs werden bei dem außerordentlichen Europäischen Rat die am 1. Februar veröffentlichte Mitteilung der Kommission über einen"Green Deal Industrial Plan" ("Grüner Industrieplan") diskutieren. Mit dem neuen Industrieplan will die Kommission gleiche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt gewährleisten. Gleichzeitig will sie es den Mitgliedstaaten erleichtern, die für den grünen Wandel erforderlichen Beihilfen zu gewähren. Teil des Grünen Industrieplans werden auch die Nutzung bestehender -Fonds und Programme wie RePowerEU und InvestEU sein.

Für die Stärkung der europäischen Wirtschaft, sei die Flexibilisierung des europäischen Beihilferechts bedeutend - "und zwar gezielt in den Sektoren, die wir für die Transformation brauchen", so der Kanzler. Außerdem müssten die Produktionskapazitäten für fortschrittliche, saubere Technologien ausgeweitet werden, etwa im Energie-, Bau- und Verkehrsbereich. Wesentlich sei auch der freie und faire Handel, wobei die abgeschlossenen und geplanten Freihandelsabkommen mit ein wichtiges Instrument seien.

Bundeskanzler Scholz schloss seine Regierungserklärung mit einem Grundsatz der deutschen Außen- und Europapolitik ab: "Nicht die schnelle, laute Forderung setzt sich durch. Sondern die durchdachte, ordentlich abgestimmte und daher tragfähige Idee. Darauf hinzuwirken - darin liegt für mich übrigens auch Deutschlands Rolle in Europa."